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So interessant können Übersetzungslösungen sein

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Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.

Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Ab nach Italien (April 2024)

In diesem Monat diskutiere ich eine deutsche Übersetzung, zu der mir das englische Original nicht vorliegt, sondern nur vermutet werden kann. Obwohl die Übersetzung theoretisch die gleiche Bedeutung haben kann wie das vermutete Original, glaube ich dennoch annehmen zu können, dass die Bedeutung des deutschen Zieltextes nicht mit der beabsichtigten Bedeutung des englischen Ausgangstextes übereinstimmt.

Die Übersetzung, um die es geht, ist Teil eines Interviews von Peter Unfried, dem Chefreporter der taz, mit dem amerikanischen Schriftsteller Jonathan Franzen. Das Interview erschien am 19.12.2023 online auf taz.de. Die beiden sprechen vorwiegend über Klimapolitik. Dass das Interview auf Englisch geführt wurde, obwohl Franzen auch Deutsch spricht, wird an einer Stelle durch den Hinweis „Franzen wechselt ins Deutsche“ deutlich. Uns interessiert die folgende Passage:

UNFRIED:
Wir haben eine neue Obsession in Deutschland: Frührente. Aber nicht um die Welt zu retten, sondern um endlich – das ist das treibende Gefühl des Mittelklassen-Individualismus – Zeit für uns selbst zu haben, um das eigene Leben durch noch mehr Ausstellungen, Theater, Bücher anzureichern ...

FRANZEN:
Oder endlich dieses Jahr in Italien zu verbringen.

UNFRIED:
Genau.

Kritisch ist hier die Vervollständigung des Satzes durch Franzen: „Oder endlich dieses Jahr in Italien zu verbringen.“ Im Original wird Franzen wohl in etwa gesagt haben: „Or, finally, to spend this year in Italy.“ Beide Versionen – die deutsche und die englische – können, je nach Kontext zwei völlig verschiedene Bedeutungen haben. Die erste, spezifische Bedeutung ist: Wir haben Zeit für uns selbst, um in diesem Jahr endlich mal einige Zeit in Italien zu verbringen. Die zweite, unspezifische Bedeutung ist: Wir haben Zeit für uns selbst, um endlich mal ein Jahr in Italien zu verbringen, was wir ja immer schon machen wollten.

Das Problem hier liegt in der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit der unspezifischen Bedeutung von „this“ bzw. „dieses“. So eine Möglichkeit gibt es im Englischen, wo die Verwendung von „this“ als „designating a particular but unspecified person or thing“ (Collins online) funktioniert, während es im Deutschen eine solche unspezifische Bedeutung für „dieses“ nicht gibt. Damit bei „Oder endlich dieses Jahr in Italien zu verbringen“ die zweite Bedeutung zum Tragen kommen kann, müsste zuvor das Thema eines solchen einjährigen Italienaufenthalts angesprochen worden sein. Dann würde sich „dieses“ nämlich genau darauf beziehen. Ohne einen solchen Bezug hat die deutsche Übersetzung die erste, spezifische Bedeutung.

Aufgrund der Tatsache, dass Italien außer an der genannten Stelle kein weiteres Mal in dem Interview vorkommt und dass es darüber hinaus nicht darum geht, was Frührentner speziell in diesem Jahr (also 2023) zu unternehmen gedenken, wird Franzen mit seiner englischen Anmerkung wohl die unspezifische Bedeutung intendiert haben. Wie könnte diese sinnvoll ins Deutsche übertragen werden? Das Deutsche hat für solche Fälle den unbestimmten Artikel vorgesehen: Oder endlich mal ein Jahr in Italien zu verbringen. Das „endlich mal“ impliziert die lang gehegte Sehnsucht nach einem längeren Italienaufenthalt. Im Englischen wird dies schon durch „finally“ zum Ausdruck gebracht; das „this“ verstärkt diesen Effekt lediglich. Schließlich hätte das Original auch lauten können: „Or, finally, to spend a year in Italy.“ Dann wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, das obige Satzende so zu übersetzen, wie es übersetzt wurde.