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So interessant können Übersetzungslösungen sein

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Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.

Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Läufer, Spaziergänger oder Geher? (Dezember 2019)

Wenn ich einen deutschen Text lese, kommt es immer mal wieder vor, dass mir bestimmte Textstellen ins Auge springen und ich mich frage: Warum hat der Autor oder die Autorin das nur so geschrieben? Diese Textstellen sind oft grammatisch richtig, aber im Ausdruck oder in der Wortwahl ungewöhnlich oder inhaltlich unpassend. In vielen Fällen lässt sich das durch eine Übersetzung aus dem Englischen erklären.

Am 15. Oktober dieses Jahres veröffentlichte die WELT online den Artikel „Was die Gehgeschwindigkeit über deinen IQ verrät“ von Paula Leocadia Pleiss. In dem Text wird eine neuseeländische Studie vorgestellt, die anhand des Gangs von Menschen Rückschlüsse auf deren Intelligenzquotienten zieht. Nach einer kurzen Einleitung über Erkenntnisse, die eine Betrachterin gemeinhin aus dem Gang eines Menschen zieht, lesen wir im zweiten Absatz folgendes Zitat von Terrie E. Moffitt, einer der Autorinnen der Studie: „Ärzte wissen, dass langsame Läufer in ihren Siebzigern und Achtzigern tendenziell früher sterben als schnelle Läufer im selben Alter.“ Praktischerweise findet sich im Text der Link zum Originalzitat. In einem am 11. Oktober in Duke Today (einer Publikation der Duke University) veröffentlichten Artikel wird Frau Moffitt wie folgt zitiert: „Doctors know that slow walkers in their seventies and eighties tend to die sooner than fast walkers their same age.“

Auch ohne Kenntnis des Originalzitats stellt sich dem aufmerksamen Leser die Frage: Wie viele Siebzig- bis Neunundachtzigjährige frönen denn überhaupt dem Laufsport? Und außerdem: Was hat das Laufen mit dem zuvor genannten menschlichen Gang zu tun? Die englische Version macht deutlich, dass es gar nicht um Laufen im Sinne von Joggen geht. Warum also wurde „walkers“ mit „Läufer“ übersetzt?

Ich nehme an, dass hier eine laienhafte Vorstellung von Übersetzung ausschlaggebend ist: nämlich, dass ein englisches Wort durch ein entsprechendes deutsches zu ersetzen ist. Während eine solche Methode häufig funktioniert, gibt es doch immer wieder Texte, in denen bestimmte Wörter in der Zielsprache keine Eins-zu-eins-Entsprechung haben. Das Problem, dass sich bei der Übersetzung von „walkers“ auftut, besteht im Kontext: In der Studie sollten die Probanden mit verschiedenen Geschwindigkeiten gehen – normal und schnell. Eine Übersetzung mit dem Wort „Spaziergänger“ passt nicht in den Zusammenhang, weil die Konnotation eines ungezwungenen Dahinschlenderns nicht mit den Vorgaben einer solchen Studie in Einklang zu bringen ist. Eine Übersetzung mit dem Wort „Geher“ wäre unangemessen, da dieses Wort jemanden bezeichnet, der Gehen als sportliche Disziplin betreibt. Wie es scheint, bleibt als Übersetzung nur „Läufer“. Zwar kann das Verb „laufen“ in bestimmten Zusammenhängen durchaus „gehen“ bedeuten (etwa, wenn ein Kleinkind laufen lernt oder man zu Fuß irgendwohin läuft) und das schweizerdeutsche Äquivalent „louffe“ hat häufig genau diese Bedeutung; doch wird ein Kleinkind, das laufen kann, damit noch nicht zu einem Läufer. Das Laufen eines Läufers ist kein Gehen.

Damit kommt keine der drei Ein-Wort-Lösungen als Übersetzung von „walkers“ infrage. Nötig ist hier eine verbbasierte Herangehensweise, etwa mit zwei Relativsätzen: Ärzte wissen, dass Menschen im Alter von siebzig bis neunzig Jahren, die nur langsam gehen können, früher sterben als Gleichaltrige, die schnell gehen können.

Die Verwirrung durch die eigentlich gehenden Läufer wird in dem WELT-Artikel bei der näheren Beschreibung einer Aufgabe noch verstärkt: Die Probanden der Studie sollten zunächst „normal schnell auf einem Laufband laufen“. Unter einem Laufband versteht man jedoch ein Sportgerät, mit dem sich Menschen – etwa in einem Fitnessstudio – im Laufschritt auf der Stelle bewegen können. Wirft man einen Blick in die Original-Studie (zu der es im Artikel ebenfalls einen Link gibt), so ist hier von einem sechs Meter langen „GAITRite Electronic Walkway“ die Rede. Dieser Walkway besteht aus einer mit Sensoren versehenen Matte, über die die Probanden gehen müssen. Der Gang der Probanden wird durch die Sensoren erfasst und mit Hilfe eines Computers analysiert und ausgewertet.

Wie irreführend die unpassende Wiedergabe des Inhalts der Studie tatsächlich ist, lässt sich vielleicht an einem der Kommentare zu dem Artikel ablesen. Darin heißt es: „Sehen wir uns doch mal die Gewinner der meisten Marathonläufe an, ob die wirklich klüger als wir sind?“