Like-Blog
So interessant können Übersetzungslösungen sein
Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.
Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Fliegende Flamingos (Februar 2020)
Metaphern und idiomatische Redewendungen bereichern eine Rede – vorausgesetzt, sie sind originell. Triviale Metaphern und abgedroschene Redewendungen hingegen wirken öde und langweilig. Man denke nur an das von Politikern gerne verwendete „Heft des Handelns“. Ein Rezept dagegen besteht darin, ein Idiom in leicht veränderter (aber wiedererkennbarer) Form zu verwenden. Leser oder Zuhörer werden einen solchen Ausdruck gewiss nicht überlesen bzw. überhören.
Der ehemalige Sprecher des britischen Unterhauses John Bercow sagte am 10. September 2019 anlässlich einer Zeremonie, die eine fünfwöchige Zwangspause des Parlaments einläuten sollte: „I couldn’t give a flying flamingo what your view is.“ Der Adressat dieser wunderbaren Äußerung war Graham Stuart, ein Abgeordneter der Konservativen. Der Äußerung liegt die Redewendung „not give a fig“ zugrunde. Sie bringt zum Ausdruck, dass jemandem etwas völlig egal ist: „I don’t give a fig what your view is“ wäre die vergleichsweise unauffällige Alternative zum Originalzitat gewesen. Rüdere Varianten verwenden auch das f-Wort anstelle von „fig“.
Nun hat John Bercow den Standardausdruck in zweierlei Hinsicht verändert. Zum einen hat er aus der Feige („fig“) einen fliegenden Flamingo gemacht, zum anderen wurde aus „don’t“ „couldn’t“. Die Veränderungen erfolgten spontan in unvorbereiteter Rede. Bercow hatte sich kurz zuvor schon einmal an Graham Stuart gewandt und ihn einen „master of disorder“ genannt, weil dieser mit Zwischenrufen auf sich aufmerksam machte. Am Ende von Bercows Ansprache im Parlament gab es dann den obigen Ausspruch. Er wirkt wie zusammengesetzt aus „I couldn’t care less“ und „I don’t give a fig“, wobei die Ersetzung von „fig“ durch „flying flamingo“ die etwas herabwürdigende Qualität des Standardausdrucks auf lustige Weise abschwächt (oder intensiviert?): Ist „fig“ schon eine alliterierende Verharmlosung des f-Wortes, so wird dieser Effekt mit der doppelten Alliteration des „flying flamingo“ noch auf die Spitze getrieben, um den Adressaten der Lächerlichkeit preiszugeben.
Wie es für „not give a fig“ im Englischen unterschiedliche Varianten gibt, so finden sich auch im Deutschen mehrere mögliche Entsprechungen: sich keinen Deut / einen Dreck / einen Teufel / einen feuchten Kehricht um etwas scheren. In beiden Sprachen bezeichnet das grammatische Objekt etwas Geringfügiges, gering Geschätztes oder sonstwie negativ Konnotiertes. Während im Englischen das Verb generell negiert wird, hat das Deutsche lediglich eine Variante mit einer Negation (keinen Deut) – ansonsten gibt es keine Negation. Mit anderen Worten: Will man den deutschen Ausdruck kreativ verändern und etwas anderes Geringfügiges an Stelle der üblichen grammatischen Objekte verwenden, sollte man keine Negation einbauen.
Selbstverständlich wurde Bercows Äußerung auch in den deutschen Nachrichten erwähnt. Die Tagesschau präsentierte online die folgende Übersetzung: „Ihre Meinung schert mich keinen fliegenden Flamingo.“ Dagegen übersetzte das Luxemburger Wort: „Ihre Meinung schert mich einen fliegenden Flamingo.“ Wie die obigen Ausführungen zeigen, halte ich die zweite Übersetzung für besser als die erste.
PS: Wieso Bercow ausgerechnet einen fliegenden Flamingo so gering schätzt, entzieht sich meiner Kenntnis. Unter Beibehaltung der Alliteration wäre „flickering flashlight“ (flackernde Taschenlampe) naheliegender.