Like-Blog
So interessant können Übersetzungslösungen sein
Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.
Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Zinnkrüge (Juli 2022)
In „Hell’s bells! The joy of Morris Dancing“ (The Independent, 21. September 2009) vermittelt Jonathan Brown gleich zu Beginn einen sehr bildhaften Eindruck von den Gepflogenheiten des Morris-Tanzes: „Few would imagine that danger is at hand. Morris dancing – with its tinkling bells, clink of pewter tankards and brightly-clad participants – evokes the timeless, gentle charm of an English village.“
Diese Sätze wurden übersetzt: „Wenige nur könnten sich vorstellen, dass Gefahr in Verzug ist. Mit seinen klingelnden Glöckchen, klirrenden Zinnkrügen und bunt gekleideten Tänzern ruft der Morris den zeitlosen und sanften Charme eines englischen Dorfes hervor.“ Auf den ersten Blick wirkt die Übersetzung unauffällig, verwendet die Übersetzerin doch eine Ausdrucksweise, die ähnlich bildhaft ist wie die des Ausgangstextes. Erst auf den zweiten Blick zeigen sich einige problematische Stellen.
Abgesehen von Rechtschreib- oder Ausdrucksfehlern („in Verzug“, „klingelnden“) gibt es zwei sprachliche Mängel. So passen im ersten Satz der Hauptsatz und der als Objekt dieses Hauptsatzes fungierende Nebensatz semantisch (zumindest in diesem Kontext) nicht zueinander. Das Problem ist die Formulierung des Konjunktivs („könnten sich vorstellen“), die auf Möglichkeiten in der Zukunft verweist, während mit „Gefahr ist im Verzug“ eine Tatsache der Gegenwart beschrieben wird. (Kein Problem ergäbe sich bei: Wenige nur könnten sich vorstellen, einem Morris-Team beizutreten.) Für die Übersetzung muss der Satzanfang geändert werden, etwa: „Wenige nur würden hier vermuten, dass Gefahr im Verzug ist.“
Den zweiten Mangel mag mancher Leser oder manche Leserin vielleicht nicht als solchen ansehen. Dennoch würde ich argumentieren, dass das adjektivische „klirrend“ nicht unbedingt den Klang aneinander schlagender Zinnkrüge trifft, denn letztere produzieren weder Rasselgeräusche noch das schrille Getöse von zerspringendem Glas oder Eis. In Ermangelung einer lautmalerischen Entsprechung zum englischen „clink“ kann hier die den Laut hervorrufende Bewegung zum Ausdruck gebracht werden: „Mit seinen klingenden Glöckchen, laut aneinander schlagenden Zinnkrügen und bunt gekleideten Tänzern ruft der Morris den zeitlosen und sanften Charme eines englischen Dorfes hervor.“