Like-Blog
So interessant können Übersetzungslösungen sein
Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.
Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Schießwütige Abgeordnete (November 2020)
Wörterbücher sind ein sinnvolles Werkzeug für Übersetzerinnen und Übersetzer. In der Regel sollten einsprachige Wörterbücher dazu dienen, die Bedeutung(en) eines Wortes herauszufinden, während zweisprachige Wörterbücher Anregungen für eine geeignete Übersetzung geben. Manchmal ist jedoch weder das einsprachige noch das zweisprachige Wörterbuch hilfreich. Wann das der Fall ist, erkennt der Übersetzer oder die Übersetzerin am Kontext.
Auf tagesschau.de gab es am 2. September 2020 folgende Nachricht: „Nachdem zwei Polizisten in Los Angeles einen Schwarzen erschossen haben, gibt es viele offene Fragen. Vor dem Hintergrund anhaltender Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus sorgt der Fall für Aufsehen. [...] ‚Die Abgeordneten haben im Wesentlichen einen Mann hingerichtet, der Fahrrad fährt‘, sagte Najee Ali, ein Aktivist der Gemeinde, als er neben einigen Verwandten von Kizzee am Ort der Schießerei stand. ‚Sie werden sagen, dass er eine Waffe hatte, aber sie werden nicht sagen, dass er nicht mit der Waffe bewaffnet war. Er richtete die Waffe nicht. Es gab keinen Grund für Abgeordnete, einen rennenden Mann zu erschießen.‘“
Im Original wird Najee Ali, zum Beispiel von der Los Angeles Times, so zitiert: „‘The deputies essentially executed a man riding his bicycle,’ Najee Ali, a community activist, said Tuesday while standing beside some of Kizzee’s relatives at the scene of the shooting. ‘They’ll say he had a gun, but what they won’t say was that he was not armed with the gun. He did not point the gun. ... There was no reason for deputies to shoot a running man.’“
Wieso werden aus den Polizisten plötzlich Abgeordnete? Zwischendurch ist auch mal von „Beamten“ die Rede – als Kurzform für Polizeibeamte. Der Übersetzer oder die Übersetzerin hat, wie es scheint, verzweifelt nach einer von einem Wörterbuch gedeckten Bedeutung für „deputy“ gesucht. Zweisprachige Wörterbücher gehen kaum über die wesentlichen Bedeutungen „Stellvertreter“ und „Abgeordneter“ hinaus; einsprachige Wörterbücher geben dasselbe auf Englisch wieder. Dass es sich bei einem „deputy“ um eine Art Polizist handeln muss, wird lediglich im Kontext deutlich. Im Zweifel ist jedoch der Kontext entscheidend, nicht das Wörterbuch.
Die „deputies“ sind genau genommen „L.A. County sheriff’s deputies“. Das sind in Los Angeles Polizisten, die unter anderem für die Durchsetzung von Recht und Ordnung zuständig sind.
Die Tagesschau-Nachricht habe ich mir am Tag ihres Erscheinens sofort notiert. Als ich tags darauf meinen Blog-Artikel schreibe und mir zu diesem Zweck noch einmal online die Nachricht ansehe, lese ich: „‚Die Polizisten haben im Grunde einen Mann hingerichtet, der Fahrrad fährt‘, sagte Najee Ali, ein Aktivist der Gemeinde, als er neben einigen Verwandten von Kizzee am Ort der Schießerei stand. ‚Sie werden sagen, dass er eine Waffe hatte, aber sie werden nicht sagen, dass er nicht mit der Waffe bewaffnet war. Er richtete die Waffe auf niemanden. Es gab keinen Grund für die Polizisten, einen rennenden Mann zu erschießen.‘“
Da hat mit etwas Verspätung offenbar ein Lektor oder eine Lektorin korrigierend eingegriffen und nicht nur die schießwütigen Abgeordneten in Polizisten verwandelt, sondern auch aus dem unvollständigen „Er richtete die Waffe nicht“ einen vernünftigen Satz gebaut.