Like-Blog
So interessant können Übersetzungslösungen sein
Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.
Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Eine unwahrscheinliche Übersetzungslösung (April 2019)
Wer in einem zweisprachigen Wörterbuch das Wort „unlikely“ nachschlägt, erhält als deutsche Übersetzung „unwahrscheinlich“. Diese Übersetzung ist auch dann noch einleuchtend, wenn man sich die jeweiligen Einträge zu den beiden Adjektiven in einem einsprachigen Wörterbuch anschaut. Spätestens in der übersetzerischen Praxis stößt man jedoch häufig auf Probleme, weil das deutsche Äquivalent nicht so recht in den zielsprachigen Kontext passen will. Davon handelt das folgende Beispiel.
In dem Artikel „Rethinking Marx“ von Peter Gumbel aus dem Times Magazine vom 29. Januar 2009 heißt es an einer Stelle: Brown’s political opponents on the right are also on the attack, but much of the criticism is coming from another source: church leaders, including the Archbishop of Canterbury, Rowan Williams, who harbors an unlikely sympathy for a man whose followers adopted atheism as a state creed. Die Übersetzung dieses Satzes wirkt durchaus idiomatisch: Browns politische Gegner von rechts gehen ebenfalls zum Angriff über, aber die Quelle der schärfsten Kritik ist eine andere: Kirchenoberhäupter wie der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, der natürlich keine große Sympathie für einen Mann hegt, dessen Anhänger den Atheismus zu einem Staatscredo gemacht haben. Doch leider ist diese Übersetzung falsch. Warum? Weil die Übersetzerin in eine Falle getappt ist, die ihr von einer im Prinzip richtigen Übersetzungsstrategie gestellt wurde.
Vermutlich hat die Übersetzerin in einem ersten Schritt versucht, die im Wörterbuch angegebene Übersetzung von „unlikely“ zu verwenden. Die daraus sich ergebende Nominalphrase „eine unwahrscheinliche Sympathie“ würde jedoch aufgrund der Kombination des Adjektivs mit genau diesem Nomen eine Bedeutung nahelegen, die im Kontext nicht richtig sein kann: Es wäre eine Sympathie von besonderem Ausmaß. Diese umgangssprachliche Verwendung von „unwahrscheinlich“ kommt häufig zum Tragen, weil die standardsprachliche Verwendung als Attribut auf bestimmte Ausdrücke beschränkt ist, etwa in „der unwahrscheinliche Fall“ (also ein Fall, der aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eintritt) oder „eine unwahrscheinliche Ausrede“ (die wohl kaum der Wahrheit entspricht). Im zweiten Schritt hat sich die Übersetzerin offenbar den Sinnzusammenhang angesehen und in Bezug auf die Meinung von Rowan Williams über Karl Marx (der hier mit „a man“ gemeint ist) eine an sich logische Schlussfolgerung gezogen. Nur ist es gerade die Aufgabe von „unlikely“, solch einer naheliegenden Schlussfolgerung den Wind aus den Segeln zu nehmen und das genaue Gegenteil als Tatsache in den Vordergrund zu rücken: Der Ausdruck „unlikely sympathy“ bedeutet nicht das Nicht-Vorhandensein einer solchen Sympathie, sondern vielmehr das unerwartete Vorhandensein derselben. Alternativ ließe sich daher übersetzen: ... Rowan Williams, der – man sollte es nicht meinen – Sympathie für einen Mann hegt, dessen ....