Like-Blog
So interessant können Übersetzungslösungen sein
Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.
Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
George Santos (März 2023)
Dieser Blogeintrag ist anders. Zwar beruht das Thema dieses Monats auf einer Übersetzung, die mich stolpern ließ; doch entpuppte sich der Stolperanlass weniger als Übersetzungsfehler, denn als ein rein zielsprachliches Problem der kontextualen Wortverwendung. Wäre die Lösung des Problems so offensichtlich, wie ich mir das im ersten Moment dachte, hätte ich mir für diesen Blogeintrag ein anderes, echtes Übersetzungsproblem gesucht. Das eigentlich simple Vokabelproblem war bei näherer Betrachtung jedoch überaus interessant und erkenntnisreich.
Die Idee für diesen Blogeintrag habe ich George Santos zu verdanken. Dieser relativ frischgebackene 34-jährige republikanische Abgeordnete des US-Kongresses hat nämlich sein Leben in seinem Lebenslauf etwas anders dargestellt, als es in Wirklichkeit war. In einem Interview mit der New York Post sagte er laut CNN.com vom 27. Dezember 2022 unter anderem: „I’m embarrassed and sorry for having embellished my resume“. Die Bedeutung von „embellish one’s resume“ ist klar, doch wie sollte „embellish“ in diesem Zusammenhang übersetzt werden?
Unter der Überschrift „FBI ermittelt gegen US-Abgeordneten Santos“ schreibt tagesschau.de am 2. Februar 2023: „In einem Interview räumte der Republikaner ein, er habe seinen Lebenslauf ,beschönigt‘.“ Die verwendete Verbform – „beschönigt“ – halte ich in diesem Zusammenhang für falsch: Ein Lebenslauf wird nicht beschönigt, er wird geschönt.
Zur Stützung meiner Annahme berufe ich mich zunächst auf meine muttersprachliche Deutschkompetenz. Jedoch könnte die bisweilen trügerisch sein: Schließlich sprechen die verschiedenen Sprecher des Deutschen verschieden Deutsch – je nach regionaler Herkunft, sozialem Umfeld, Bildung, etc. Würden Sie als deutscher Muttersprachler oder deutsche Muttersprachlerin mir zustimmen?
Zu wissen, dass ein Lebenslauf geschönt, aber nicht beschönigt werden kann, reicht mir jedoch nicht. Ich möchte auch wissen, warum. Ein Blick in den Duden bringt noch nicht die erhoffte Klarheit. Dort steht als Bedeutung für „beschönigen“: „etwas [Schlechtes, Fehlerhaftes] als nicht so schwerwiegend darstellen, etwas allzu günstig darstellen; schönfärben“. Die für unseren Zusammenhang relevante Bedeutung des Verbs „schönen“ lautet: „schöner, angenehmer, besser erscheinen lassen“ – eigentlich kein wesentlicher Unterschied. Sollte man vielleicht doch einen Lebenslauf beschönigen können?
Eine Internetrecherche nach beschönigten und geschönten Lebensläufen ergibt schon eine erste Tendenz: Lebensläufe werden sehr viel häufiger geschönt als beschönigt. Aber warum verwende ich in bestimmten Zusammenhängen eher das eine als das andere Wort, wenn die Bedeutung der beiden Wörter nahezu identisch sein kann? Oder anders gefragt: In welchen Zusammenhängen verwendet man „beschönigen“ und in welchen „schönen“? Die Antwort auf diese Frage finde ich auf dwds.de im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache. Dort werden für beide Wörter als Kollokation signifikante Akkusativobjekte angegeben. Für „beschönigen“ sind das unter anderem: Lage, Realität, Ding, Übergriff, Resultat, Bilanz, Vergangenheit. Das Verb „schönen“ hat unter anderem folgende Akkusativobjekte: Arbeitslosenstatistik, Abgaswert, Lebenslauf, Bilanz, Teilnehmerzahl, Publikation, Arbeitslosenzahl. Das, was beschönigt wird, ist in der Regel etwas Unspezifisches, nicht klar Definiertes – oder etwas, das man nicht greifen kann, wie etwa ein bestimmtes Verhalten. Wenn man dagegen etwas schönt, so handelt es sich dabei in der Regel um etwas Spezifisch-Konkretes: entweder ein eindeutig benanntes oder beziffertes Ergebnis oder etwas Gegenständliches.
Wenn Sie die beiden Beispiellisten für Akkusativobjekte der Verben „beschönigen“ und „schönen“ aufmerksam gelesen haben, wird Ihnen nicht entgangen sein, dass das Wort „Bilanz“ in beiden Listen auftaucht. Ist dies ein Beweis dafür, dass sich die Kontexte der in Frage stehenden Verben doch nicht so eindeutig voneinander abgrenzen lassen? Die Antwort ist „Nein“, wie ein Blick auf die zugrundeliegenden Beispielsätze zeigt. Wenn Bilanzen beschönigt werden, so geht es hier um nicht weiter spezifizierte Ergebnisse, wie die Bilanz eines Radrennstalls oder die Bilanz der Regierungstätigkeit eines Bundeskanzlers. Beim Schönen von Bilanzen haben wir es hingegen ausschließlich mit Bilanzen im betriebswirtschaftlichen Sinne zu tun: eine in Zahlen klar definierte abschließende Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva, Einnahmen und Ausgaben, Vermögen und Schulden für das abgelaufene Geschäftsjahr eines Unternehmens.