Like-Blog
So interessant können Übersetzungslösungen sein
Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.
Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Eine Krise des Kapitalismus (Februar 2022)
In „A Capital Manifesto“ (Newsweek.com, 12. Juni 2009) von Fareed Zakaria lautet der zweite Satz: „Over the past six months, politicians, businessmen and pundits have been convinced that we are in the midst of a crisis of capitalism that will require a massive transformation and years of pain to fix.“
Übersetzt wurde: „In den vergangenen sechs Monaten wurden Politiker, Geschäftsleute und Experten davon überzeugt, dass wir uns inmitten einer globalen Krise des Kapitalismus befinden, die eine massive Umwandlung und schmerzvolle Jahre erfordert, um sie zu beheben.“
Dieses Beispiel zeigt sehr schön, wie die unreflektierte Übernahme von grammatischen Strukturen aus dem Englischen ins Deutsche zu unbefriedigenden Übersetzungsergebnissen führen kann. Die Konstruktion „wurden [...] überzeugt“ wirft die nicht zu beantwortende Frage auf: Von wem? In ähnlicher Weise ruft der Ausdruck „eine massive Umwandlung“ nach einer Ergänzung durch einen Genitivus obiectivus und die „schmerzvolle[n] Jahre“ könnten eindeutiger formuliert werden. Am Schluß zeugt der Infinitivsatz mit „um ... zu“ von einem nicht ausreichend reflektierten Sprachgefühl des Übersetzers, denn das semantisch geforderte Agens für „beheben“, „wir“, funktioniert im Satzzusammenhang ebenso wenig („dass wir uns inmitten einer globalen Krise [...] befinden, [...] um sie zu beheben“) wie das syntaktisch suggerierte Agens, nämlich das auf „Krise“ sich beziehende Relativpronomen „die“ (wodurch die Krise sich selbst beheben würde).
Diese Probleme ließen sich durch folgende Übersetzung lösen: In den vergangenen sechs Monaten sind Politiker, Geschäftsleute und Experten zu der Überzeugung gelangt, dass wir uns inmitten einer Krise des Kapitalismus befinden, deren Behebung einen massiven Wandel und Jahre voller Entbehrungen erfordert.